„Angst als Begleiter akzeptieren“
Lesung, Musik, Diskussion: Mit Nicholas Müller, dem ehemaligen Frontmann der Band Jupiter Jones, eröffnet die FLEX® Eingliederungshilfe gGmbH am 30. September als Teil des „Bündnisses gegen Depression“ die 5. Gütersloher Woche der seelischen Gesundheit. Der Andrang war groß: Im vollgepackten Kesselhaus der Weberei berichtete Müller, was eine Angststörung mit ihm gemacht hat und wie er sie schließlich überwinden konnte. Seine Botschaft: Keine Scham. Und: Die Dinge beim Namen nennen.
„Dein Mut baut sich ein Fahrrad aus Zweifeln und fährt damit davon“ – begleitet von Liedzeilen wie diesen nahm der Sänger und Autor Nicholas Müller die gebannten Zuhörer im Kesselhaus auf eine sehr persönliche Reise mit in seine Angsterkrankung, die ihn 2014 eine Musikkarriere mit Gold- und Platin-Schallplatten gekostet hat. „Ich bin mal eben wieder tot – wie ich lernte mit der Angst zu leben“ ist der Titel des Buches, das er über diese Erfahrung veröffentlicht hat und aus dem er am Abend Auszüge las.
Die Trauer um den Verlust der Mutter war das, was unter der Angst saß und diese immer wieder nach oben schob. Bis zu dieser Erkenntnis, die die Wende brachte, war es ein langer Weg: Viele Jahre harte Beruhigungsmittel, Panikattacken, „so heftig, dass du denkst, du stirbst.“ Zum Schluss landet Müller alle zwei Wochen in der Notaufnahme. Die Angst ist zu groß. Er muss alles aufgeben, nicht nur die nächste Tour, sondern auch die Band Jupiter Jones. Zwei Klinikaufenthalte und gute Therapien verschaffen ihm dann das Rüstzeug, um sein Leben wieder zu meistern.
2015 gründete Nicholas Müller die Band „von Brücken“. Zudem ist er Schirmherr der Deutschen Angsthilfe. An seine letzte Panikattacke kann sich Müller schon nicht mehr erinnern. Dennoch, es ist nicht alles wieder gut: Auch jetzt fällt ihn gelegentlich die Angst an, so zum Beispiel als er auf dem diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Dortmund vor 50.000 Besuchern zwei Texte vortrug. Der Unterschied: „Ich merke jetzt, wenn es kommt, und ich habe meine Skills, um es zu begrenzen – um nicht mit dem Kopf nachzuziehen, wenn sich die körperlichen Symptome einstellen.“
Schätzungsweise zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Angstzuständen, weiß Sänger und Autor Müller zu berichten. Der Einladung der FLEX® Eingliederungshilfe, einem Tochterunternehmen der Diakonischen Stiftung Ummeln, ist er gefolgt, um das Tabu zu brechen, mit dem das Thema noch immer umgeben ist. „Die Menschen sollen aus der Praxis kommen und darüber reden können, wie über jede andere Krankheit auch“, wünscht sich Müller. Den Betroffenen empfiehlt er: „Die Angst als Begleiter akzeptieren.“